Die Antwort auf die Frage, wo am weiten Meer man sich gerade befindet, gehört wohl zu den wichtigsten Informationen, sobald man den Heimathafen hinter sich lässt. Und die Suche nach einer verlässlichen Antwort hat lange gedauert und viele Seeleute in Gefahr gebracht.
Bei guter Sicht auf die Küste konnte man noch auf Sicht navigieren, aber sobald rundherum nur mehr Blau zu sehen war, wurde es schwierig, Kurs, Geschwindigkeit, Abdriften und Strömung so genau zu bestimmen, dass man daraus seinen Ort errechnen konnte. Für dieses Verfahren der Ortsbestimmung wurde früher das Wort gissen gebraucht. Und dieses aus dem mittelniederdeutschen stammende Wort bedeutet soviel wie “schätzen”.
Heute reicht im Prinzip ein Blick auf die Smartwatch, um zu wissen, wo man ist. Dank Global Positioning System, kurz GPS, werden einem auf einige Meter genau der aktuelle Längen- und Breitengrad und somit der aktuelle Ort auf der Erdoberfläche geliefert. Und flux werden diese Daten wie von Zauberhand auf einer digitalen Seekarte angezeigt und schon kann man sich ein Bild davon machen, wo man ist. Und mit zwei Fingertippern weiß man auch schon, wie weit es noch zur Traumbucht ist und welche Hindernisse am Weg umschifft werden müssen.
War die Ortsbestimmung in frühren Zeiten eine Art Geheimwissenschaft, ausgeübt von einäugigen, grimmigen Navigatoren mit Sextant in der Hand, so ist sie heute ein Kinderspiel. Unhandliche Seekarten, Peilkompass und Zirkel haben längst ausgedient. Doch alle die den Navitisch bereits zur Ablage für Tablet, Handy und Sonnenbrille degradiert haben, ermuntert Frau Gisela Müller-Plath doch ab und zu wieder auf alte Tugenden zurückzugreifen.
Gisela Müller-Plath ist Hochschullehrerin mit den Schwerpunkten Wahrnehmungspsychologie und Statistik am Studiengang Human Factors an der TU Berlin und hat mit StudentInnen die Studie ANeMoS („Analyzing Use and Impact of New Media on Sail- boats“) gemacht. Ziel war die Auswirkungen GPS-gestützter digitaler Navigation auf die räumlichen Fähigkeiten von SeglerInnen und die Gebrauchstauglichkeit (Usability) der digitalen Geräte und Seekarten zu untersuchen.
Und was die Empfehlungen betrifft, die sie aus der Studie recht eindeutig ablesen kann, sollten allen, die die Seekarte unter dem Navitisch verstauben lassen, zu denken geben.
“Nutzen Sie Plotter oder Tablet als Ergänzung zur Papierkarte, nicht als Ersatz”, rät uns Frau Müller-Plath und “planen Sie Ihre Routen aktiv auf der Papierkarte, wenn Ihnen an einer guten Raumvorstellung und an der Beherrschung des Segelns gelegen ist.”
Und sie empfiehlt ein „Out-of-the-Loop-Training“, wie es für Flugzeugpiloten Pflicht ist: Segeln Sie in jeder Saison einen Tag ganz ohne digitale Hilfsmittel.
Wir meinen, es könnten ja auch zwei oder drei Segeltage sein. Spaß macht das Navigieren ohne Elektronik allemal. Und es ist ja beruhigend zu wissen, dass ein Blick auf das Tablet zur Kontrolle immer möglich ist.
mar