Wenn im Sommer Plakat, Crew-Polo und das Programm der Barcolana vorgestellt werden, ist es soweit: Triest bereitet sich auf das wichtigste Event das Jahres vor. Wie jedes Jahr seit 1969 wird am 2. Sonntag im Oktober um 10.30h der Startschuss zur (inzwischen) größten Regatta der Welt abgefeuert und bis zu 2.862 Schiffe und 17.000 Segler machen sich gleichzeitig auf den Weg. Die Regatta ist der Höhepunkt und das Finale eines großartigen Festes, das Triest 9 Tage lang zur Welthauptstadt des Segelsports macht. Bis zu 300.000 Segelbegeisterte besuchen Triest, um dabei zu sein.
Die Stadt wird herausgeputzt, jeder auch noch so kleine Wasserliegeplatz ist belegt, die Maxiyachten trohnen stolz vor dem Hauptplatz und es gibt unzählige Veranstaltungen. Alleine von offizieller Seite mehr als 80. Das geht von der Optiregatta Barcolana Young, über das Wettschwimmen Barcolana Nuota, die Regatta für Oldtimerboote Barcolana Classic bis zum Start der Barcolana selbst am Sonntag um halb elf. Neben dem Feiern — das kulinarische Angebot ist übrigens sensationell — wird auch über Themen wie Umweltschutz, Klimawandel und die Zukunft des Meeres und seiner Bewohner diskutiert. Triest ist ja nicht nur die Stadt der Winde sondern auch die Stadt der Wissenschaft.
Als am 12. Oktober 1968 etwa 50 Yachten bei durchaus fordernden Windbedingungen bei der ersten Barcolana um den Herbstcup, den “Coppa d’Autunno Barcolana” segelten, war ihnen nicht bewußt, dass gerade eine Legende geboren wurde. Die Regatta geht auf einen Initiative von vier Mitgliedern des Yachtclubs “Società Velica di Barcola e Grignano”, der im nördlichen Stadtteil Barcola von Triest liegt, zurück. Die Idee war, die Segelsaison mit einer Regatta für alle Segler abzuschließen. Der 2. Sonntag im Oktober war im Regattakalender noch frei und seit 1968 wird an diesem Termin die Regatta gestartet. “Hast du ein Boot? Hast du ein Segel? Dann kannst du an der Barcolana teilnehmen!”, das war von Anfang an das Motto.
2018, zum 50. Jubiläum, gingen 2.862 Yachten an den Start und seither trägt die Barcolana auch offiziell den Titel der größten Regatta der Welt. Längst ist die Barcolana keine Sonntags-Herbstregatta mehr sondern ein 9‑tägiges Segelevent und Volksfest, im besten Sinne des Wortes. Der Grund für diesen Erfolg liegt wohl am Rezept der Regatta und ihren Zutaten.
Am Anfang steht der “demokratische” Gedanke. Die Barcolana ist eine Flottenregatta, an der jeder teilnehmen kann. Aktuell ist das Starterfeld in 13 Klassen eingeteilt, von der Klasse Maxiyacht, länger als 24 Meter, bis zur Klasse IX, kürzer als 6.45 Meter. Man braucht ein Einrumpfboot, eine Haftpflichtversicherung und darf keinen Anker am Bug führen. Wer später als 30 Minuten nach dem Start die Startlinie passiert, wird nicht gewertet. Für ein Gros der TeilnehmerInnen geht es nicht um den Sieg, sondern ums Dabeisein. Dass hier alle willkommen sind, deren Leidenschaft das Segeln ist, spiegelt sich auch in den Startgebühren wider. Für unsere Hallberg-Rassy 312 zahlen wir 2022 € 95,- Startgeld. Das hält sich in Grenzen und man bekommt dazu auch noch schöne Geschenke, unter anderen das Plakat, das offizielle Regattapolo und eine Flasche Prosecco.
Von der Familiencrew bis zur Maxiyacht mit Proficrew sind also hier alle am Start. Und da kommt das wahre Highlight der Barcolana ins Spiel: die Startlinie. Egal in welcher Klasse man startet, alle Schiffe starten ganz einfach gleichzeitig um 10.30h. Die Startlinie erstreckt sich über annähernd 2 Seemeilen südlich des imposanten Schlosses Miramare. Wer jemals mit über 2.000 Segelbooten unterschiedlichsten Typs auf einer Startlinie gestanden ist, wird diesen unglaublich berührenden Moment nie vergessen. Und dann segeln alle Richtung Südwest auf die erste Boje zu — ein unglaubliches trichterförmiges Feld an Segeln bewegt sich auf einen einzigen Punkt zu. Das ist Euphorie und Wahnsinn gleichzeitig. Von der ersten Boje geht es wieder zurück Richtung Miramare und dann zur Ziellinie, die direkt vor Triest liegt. Der Kurs ist etwa 15 Seemeilen lang. Maxiyachten schaffen das unter einer Stunde. Wer allerdings 7 Sunden nach dem Start die Ziellinie passiert, wird nicht mehr gewertet. Alle fahren gleichzeitig los, und wer als erster im Ziel ist, ist der Sieger — so einfach ist das hier.
Naturgemäß hängt der Verlauf der Barcolana auch vom Wind ab. Und da gilt schon seit Anfang an, dass einfach bei jedem Wind gestartet wird. Das haben wir auch bei unseren bisherigen Teilnahmen erlebt. 2018, zur 50. Ausgabe, war ein wunderbarer Herbsttag mit blauem Himmel und moderater Bora. Ein Segeltag wie er im Buche steht. 2019 war der Himmel ebenfalls blau und die Sonne strahlte vom Himmel. Allerdings war so gut wie kein Wind — das Feld bewegte sich im Zeitlupentempo voran und das Ziel wurde zur zweiten Boje vorverlegt. 2020 kündigte sich eine starke Bora Scura mit Böen von über 50 Knoten, starkem Regen und Gewittern an. Erstmal in ihrer Geschichte wurde die Barcolana wegen des Wetters abgesagt. 2021 waren ebenfalls Böen bis 50 Knoten angesagt, aber bei schönem Wetter und guter Sicht. Wir hatten 48 Knoten am Windanzeiger und drehten kurz vor der Startlinie um. Kurz darauf wurde die Regatta für einen Großteil der Klassen abgesagt — es war für alle ein Teufelsritt. Danach gab es eine Diskussion darüber, ob es vernünftig sei, bei 9 Beaufort eine Regatta zu starten. Die Diskussion endete mit der Feststellung, dass wohl jede Crew selbst wissen müsse, wo ihre Grenzen liegen — auch diese Haltung prägt den Charakter der Barcolana.
Wobei Diskussionen über den Charakter und die Ausprägung der Barcolana immer sehr breit diskutiert werden. Hier merkt man dann sehr deutlich, dass die Barcolana keine VIP-Veranstaltung oder Marketing Maschine ist, sondern ein gemeinsamer Kraftakt der Menschen, die die Barcolana gegründet haben und sie lieben. In der perfekten Organisation ist der demokratische Ursprungsgedanke deutlich zu spüren. Und man spürt auch persönlich, dass den Veranstaltern jeder einzelne Teilnehmer am Herzen liegt. Hier wird alles dafür gemacht, dass die Barcolana für die Crews ein unvergessliches Erlebnis wird. Und das ist bei diesen Dimensionen schon ein Kunststück. Wir haben zum Beispiel nicht schlecht gestaunt, als wir im vergangenen Winter ein flaches Paket von der Barcolana nach Wien geschickt bekamen. Darin war ein schöner Wandkalender, als Dankeschön, dass wir bei der Barcolana gestartet sind.
Die Verbindung von Segelsport, Kunst und Kultur, Kulinarik und Wissenschaft ist der Barcolana ein großes Anliegen. Das zeigt sich immer sehr deutlich am Plakat der Barcolana, das von der legendären Triestiner Kaffeerösterei Illy beigesteuert wird. Jedes Jahr wird ein Künstler ausgewählt, um dem Esprit der Barcolana ein Bild zu geben und wie dann dieses Bild aussehen, wird immer ein mit großer Spannung erwarteter.
Aber die Barcolana ist eben nicht nur die größte Regatta der Welt, sondern ein wunderschönes Event und es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Barcolana zu genießen. Von einer Weinverkostung, im sogenannten Villaggio entlang des Kais vor der Altstadt, dem Besuch einer speziellen Ausstellung oder einfach im pulsierenden Triest zu flanieren. Denn Gastfreundschaft wird hier ganz groß geschrieben und das zieht zu Recht viele Besucher nach Triest. Besonders beeindruckend ist dann am Sonntag Vormittag nicht nur das Regattafeld sondern auch das Publikum. Das Karstgebirge bildet ja sozusagen ein natürliches Amphitheater um den Golf von Triest. Aber von der Mole direkt beim Ziel, über das Castello, den Leuchtturm, Aussichtspunkte und Heurige im Karst findet sich kein Aussichtspunkt auf das Regattafeld, der nicht bevölkert ist.
So vielfältig die Barcolana auch ist, ein Bild ist zum Symbol der Barcolana geworden. Ein Meer aus weißen Segeln, die alle in eine Richtung fahren.
Da gibt es die Segel, die neu designt wurden um zu gewinnen. Die Segel, die geflickt wurden um teilzunehmen. Und die Segel, die neu in Form gebracht wurden, um Bester zu sein.
Aber egal, ob hochmodernes Hightech-Laminat oder 30 Jahre alter ausgebeulter Dacron Lappen, am 2. Sonntag im Oktober heißt es um 10.30 h für alle Segel: Buon Vento!